Helga Bindseil – eine Frau, ein Leben, ein Vermächtnis

Wenn man heute auf die Geschichte des Deutschen Roten Kreuzes in Burgdorf zurückblickt, führt kein Weg an einem Namen vorbei: Helga Bindseil. Über Jahrzehnte hinweg prägte sie das Ehrenamt, baute Strukturen auf, führte mit Haltung, und blieb dabei stets nah an den Menschen.
Geboren am 21. Dezember 1924 in Danzig-Langfuhr, erlebte sie die Zerstörung des Krieges hautnah: Flucht aus Gotenhafen, Operation nach Blinddarmentzündung, Bombardement in Swinemünde, Verschüttung im Krankenhaus – sie überlebte, weil andere halfen. Diese Erfahrung wurde zur inneren Triebfeder eines Lebens für das Gemeinwohl. 1945 kam sie nach Burgdorf, mit nichts als einem Akkordeon und ungebrochenem Lebensmut.
Schon kurz nach Kriegsende begann sie bei der Stadtverwaltung zu arbeiten. 1950 heiratete sie Horst Bindseil, der später Stadtdirektor wurde. Ihre Heimat war fortan Burgdorf und ihr Lebensinhalt war das Engagement für andere.

1966 wurde Helga Bindseil zur Vorsitzenden des DRK-Ortsvereins Burgdorf gewählt. Ein Amt, das sie mit seltener Ausdauer bis ins Jahr 2000 innehatte. Von 1977 bis 1993 führte sie zusätzlich den DRK-Kreisverband Burgdorf und war Mitglied im Landesausschuss des DRK-Landesverbandes Niedersachsen. In einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels modernisierte sie die Rotkreuzarbeit mit einem klaren Ziel: Hilfe zur Selbsthilfe, organisiert von Menschen für Menschen.
Unter ihrer Führung entstanden wegweisende Projekte: Sie rief die DRK-Altenbegegnungsstätte „Herbstfreuden“ ins Leben, gründete das Jugendrotkreuz in Burgdorf, baute den Krankentransport und Rettungsdienst im Altkreis Burgdorf maßgeblich mit auf und führte internationale Hilfsaktionen durch. Die Kindertagesstätte „Villa Mercedes“ wurde mit ihrer Unterstützung eröffnet. Auch in der frühen Förderung wurde Neuland betreten: Gemeinsam mit der Ländlichen Erwachsenenbildung organisierte sie die ersten Tagesmütterkurse, bundesweit ein Novum.

(12. Juni 1981). DRK-Vorsitzende Helga Bindseil, Stadtdirektor Horst Bindseil
und Bürgermeister Günter Schröer (von links)
Helga Bindseil dachte das Rote Kreuz immer breiter: Blutspende, Seniorengymnastik, Schwimmkurse, Wandergruppen, Basare, Hilfsgütertransporte in Katastrophengebiete, Seniorenfahrten in ihre frühere Heimat… Nichts war zu klein oder zu groß, wenn es um das Wohl anderer ging. Dass sie nebenbei 22 Jahre lang den Kinder- und Seniorenkarneval in Burgdorf organisierte und als „Lady Karneval“ bekannt wurde, zeigt: Engagement war für sie immer auch mit Lebensfreude verbunden.

Für ihren unermüdlichen Einsatz wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet, das ihr Ministerpräsident Ernst Albrecht persönlich überreichte. Das DRK ehrte sie mit dem Ehrenzeichen und ernannte sie zur Ehrenvorsitzenden des DRK-Kreisverbands Burgdorf und zum Ehrenmitglied des Regionsverbands. Doch für Helga Bindseil war keine Auszeichnung je Antrieb, es war ihr inneres Bedürfnis, Teil einer funktionierenden, mitmenschlichen Gesellschaft zu sein und sie mitzugestalten.
Am 29. November 2015 starb Helga Bindseil im Alter von fast 91 Jahren. Ihre Spuren sind geblieben, nicht als Denkmal aus Stein, sondern als gelebte Werte: Hilfsbereitschaft, Verantwortungsbewusstsein, Zusammenhalt. Das, was wir heute im DRK Burgdorf vorfinden, ist auch ihr Werk.
Wir verneigen uns vor einer Frau, die das Rote Kreuz nicht nur geführt, sondern gelebt hat. Die aus Fluchterfahrung Mitgefühl machte, aus Bürokratie Gestaltungskraft, aus Vereinsleben eine Bewegung. Helga Bindseil war eine Macherin mit Herz und Haltung, und ein Vorbild, das bleibt.
Das Leben der Helga Bindseil
Neben ihrem beispiellosen Engagement im Deutschen Roten Kreuz führte Helga Bindseil ein bewegtes und erfülltes Privatleben, das ebenso von Verantwortungsbewusstsein, Tatkraft und Lebensfreude geprägt war. Geboren am 21. Dezember 1924 in Danzig-Langfuhr als Helga Groth, wuchs sie in einer behüteten, aber disziplinierten Umgebung auf. Schon als Kind war sie sportbegeistert, insbesondere im Kunstturnen und in der Leichtathletik, wo sie mehrfach erfolgreich für den damaligen „Freistaat Danzig“ an überregionalen Wettkämpfen teilnahm. Auch ihre musikalische Begabung zeigte sich früh, als Solistin bei Weihnachtsgottesdiensten und Taufen, oft im weißen Engelsgewand, war sie regelmäßig gefordert. Diese frühen Jahre legten den Grundstein für eine außergewöhnliche Fähigkeit, diszipliniertes Auftreten mit Herzenswärme zu verbinden.
Das letzte Kriegsjahr veränderte ihr Leben radikal. Während des chaotischen Endes des Zweiten Weltkriegs flüchtete sie aus Gotenhafen mit nichts als einem Akkordeon im Gepäck. Ihre Eltern sah sie nie wieder. Die Erlebnisse dieser Zeit, Flucht, Verlust, akute Krankheit, eine Notoperation und schließlich das Verschüttetsein bei einem Bombenangriff prägten ihren weiteren Lebensweg tiefgreifend. Sie überlebte dank der Hilfsbereitschaft fremder Menschen und entwickelte daraus ein lebenslanges Verständnis für die Notwendigkeit von Mitmenschlichkeit, Solidarität und sozialer Verantwortung. Dass sie noch auf dem Lazarettschiff „Monte Rosa“ ein spontanes Hafenkonzert mit ihrem mitgeführten Akkordeon gab, steht sinnbildlich für ihren unerschütterlichen Lebensmut.
Am 17. September 1945 kam sie in Burgdorf an. Zwei Tage später lernte sie auf einer Geburtstagsfeier ihren späteren Ehemann Horst Bindseil kennen, ein Wendepunkt. Es begann eine jahrzehntelange Partnerschaft auf Augenhöhe, geprägt von gegenseitiger Unterstützung, nicht zuletzt durch das gemeinsame Wirken in der Stadtverwaltung. Helga Bindseil arbeitete zunächst bei einem Burgdorfer Arzt, wechselte dann ins Rathaus und wurde im Vorzimmer des Stadtdirektors Paul Röhrig zur Verwaltungsmitarbeiterin in einer Zeit des Wiederaufbaus. Ihre Arbeit war geprägt von Zuverlässigkeit, organisatorischem Geschick und einem respektvollen Umgang mit allen Menschen, unabhängig von deren Herkunft oder Status.
1950 heiratete sie Horst Bindseil. Das Paar bezog eine Wohnung im Langen Mühlenfeld, später zog die Familie in die Wilhelmstraße. Dort wuchs eine Familie heran, die von einer starken Mutter und Großmutter getragen wurde. 1955 kam Tochter Sabine zur Welt, 1962 folgte Sohn Stefan. Drei Enkelkinder und ein Urenkel erweiterten später das Familienleben, das für Helga Bindseil nie im Schatten ihres Ehrenamts stand, sondern eine zentrale Rolle spielte. Ihre Familie beschreibt sie als liebevoll, aber bestimmt – eine Frau, die wusste, was sie wollte, und dabei immer die Menschen im Blick behielt.
Doch sie war nicht nur engagiert, sie war auch lebensfroh. Als „Lady Karneval“ war sie 22 Jahre lang zentrale Figur des Burgdorfer Faschings. Sie organisierte Kinderumzüge, Seniorenkarneval, Weiberfastnacht und sorgte dafür, dass auch die Rotkreuz-Damen mit Humor und Verkleidung auf die Bühne traten. Ihre legendären Scherenschnitte bei Ratsmitgliedern am Rosenmontag sind in Burgdorf bis heute unvergessen. Ob als Organisatorin des Kinderkarnevals unter dem Motto „Gesunde Kinder – für kranke Kinder“ oder als Initiatorin von Umzügen durch die Stadt, Helga Bindseil verband bürgerschaftliches Engagement mit Fröhlichkeit und kultureller Teilhabe.
Auch über das DRK hinaus war sie vielfältig aktiv. Als Mitbegründerin des Vereins Lebenshilfe Burgdorf setzte sie sich mit Nachdruck für die Belange von Menschen mit Behinderungen ein. Ihr soziales Engagement war geprägt von einer bemerkenswerten Bandbreite: Sie gründete den Schulverein des Gymnasiums Burgdorf, war Elternratsmitglied, Schulvorstand, organisierte Seniorenfahrten, Schwimmkurse, Gymnastikgruppen, Wander- und Radtouren. Der Kinderkarneval, das DRK-Schwimmen, die Wohltätigkeitsbasare und die internationale Hilfsbereitschaft waren für sie keine Einzelaktionen, sie verstand sie als Teil eines übergreifenden Lebenswerks.
Sie scheute sich auch nicht vor Neuerungen. Gemeinsam mit der Ländlichen Erwachsenenbildung rief sie die ersten Tagesmütter-Schulungen in Niedersachsen ins Leben, ein bundesweit einmaliges Pilotprojekt zur damaligen Zeit. Unter ihrer Leitung entwickelte sich der Ortsverein Burgdorf zu einer modernen Organisation mit einem festen Platz im Gemeinwesen.
Privat galt sie als humorvoll, direkt und dabei stets zugewandt. Sie liebte Blumen, Gartenarbeit und Musik. Sie war Gastgeberin mit Herz und Verstand, eine Frau, bei der man sich willkommen fühlte. Ihre Wohnung in der Wilhelmstraße war über Jahrzehnte ein offenes Haus für Gäste aus dem In- und Ausland, für Freunde, Mitstreiter und Weggefährten.
Zum 60. Hochzeitstag im August 2010 feierte sie mit Horst Bindseil die diamantene Hochzeit, eine Partnerschaft, die über sechs Jahrzehnte durch gegenseitige Wertschätzung, gemeinsame Verantwortung und echtes Vertrauen geprägt war. Auch an ihrem 90. Geburtstag, am 21. Dezember 2014, versammelte sich noch einmal eine große Runde aus Familie, DRK, Nachbarschaft und Stadtgesellschaft, um ihr zu gratulieren.
Helga Bindseil verstarb am 29. November 2015 im Alter von fast 91 Jahren. Ihr Mann folgte ihr im Jahr 2017. Ihre Geschichte ist nicht nur Teil der DRK-Chronik, sie ist Teil der Stadtgeschichte. Ihr Name steht nicht für Funktion, sondern für Wirkung. Nicht für Amt, sondern für Haltung.